Kollektion 2021 – capital error – Erinnerungsorte

Tunika aus Hanf GOTS zertifiziert – Teilabriss der Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen, Oktober 2020.

Der Fehler

Erinnerungsorte von lokaler oder regionaler Bedeutung werden abgerissen – hier demonstriert am Beispiel des weitgehenden Abrisses der Überreste der historischen Erlanger Heil- und Pflegeanstalt, einem Gedenkort für ermordete Kranke in der NS-Zeit.

Das Statement

Erhaltet unsere Erinnerungsorte!

Die Fakten

Die Erlanger Heil- und Pflegeanstalt (genannt „HuPflA“): Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg1/2

 

1834 Grundsteinlegung
1846 Eröffnung der Heil- und Pflegeanstalt als erste bayerische Klinik für psychisch Kranke und Menschen mit geistiger Behinderung
19. Jh. Erweiterung mit einigen Neubauten
1901 Die „Irrenheilkunde“ ist für Medizinstudierende als Unterrichtsfach verpflichtend. Die Universität Erlangen zieht auf das HuPflA-Gelände und nutzt den Gebäudetrakt, der größtenteils an die Schwabach grenzt, zur Einrichtung einer Universitäts-Nervenklinik.
1911 Gustav Kolb, Direktor der HuPflA, setzt sich dafür ein, Patient*innen möglichst frühzeitig nach Hause zu entlassen, um sie dort in ihrem gewohnten Umfeld von Fürsorgeärzt*innen und Fürsorgepfleger*innen ambulant betreuten zu lassen. Diese „offene Fürsorge“ findet im Zuge der sogenannten „Reformpsychiatrie“ unter dem Namen „Erlanger Modell“ deutschlandweit viele Nachahmer.
ab 1933 Die HuPflA wird zum Schauplatz von Euthanasie-Maßnahmen der Nationalsozialisten.
1934 Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ – etwa 100 Patientinnen der Anstalt werden zwangssterilisiert.
1939

Mit der „Aktion T4“ beabsichtigt Hitler, „die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“

Dieser Beschluss hat zur Folge, dass in den Jahren 1940/41 908 Patient*innen in die Tötungsanstalten Pirna-Sonnenstein und Hartheim/Linz transportiert wurden.

1942

Mit dem bayerischen „Hungerkosterlass“ wird offiziell angeordnet, arbeitsfähige Kranke, Kinder, bei denen eine Bildung nach Ansicht der Ärzte noch möglich war, sowie Patientinnen und Patienten, die an Alterserscheinungen litten oder kriegsbeschädigt waren, auf Kosten der arbeitsunfähigen Patientinnen und Patienten besser zu verpflegen. Nicht arbeitsfähige Kranke sollten ab diesem Zeitpunkt eine sogenannte „B-Kost“ erhalten – auch in der HuPflA.

Zwischen 1940 und 1945 sterben ca. 1.850 Patient*innen in der HuPflA – etwa 1.500 vermutlich an den direkten oder indirekten Folgen mangelhafter Ernährung

Die Sterblichkeitsrate steigt von 7% im Jahr 1941 auf 21,5% im Jahr 1945.

 

Geschichte der HuPflA nach Kriegsende 1/2

In den 1970er Jahren gab es keinerlei Überlegungen zu einem erhaltenswerten oder zu gestaltenden „Erinnerungsort“ an die Krankenmorde. Die Erinnerungskultur, die mit der stets als schwierig empfundenen „Vergangenheitsbewältigung“ verknüpft ist, spielte noch keine Rolle in Gesellschaft, Stadt und Hochschule.

 Ab 1977 erfolgt der Neubau als Bezirkskrankenhaus (jetzt Klinikum am Europakanal) und damit der Umzug in den Westen der Stadt. Das gesamte Gelände der Heil- und Pflegeanstalt geht an die Universität. Alle bestehenden Gebäude bis auf das Direktionsgebäude (Maximiliansplatz 2), der nördliche Kopfflügel (Schwabachanlage 10), die Villa des Anstaltsdirektors (Maximiliansplatz 3) und das ehemalige Ärztehaus II (Katholischer Kirchenplatz 9) werden abgerissen, das Universitätsklinikum ausgebaut.

Im Januar 2019 einigten sich Universitätsklinikum und Stadt darauf, weitere Teile des denkmalgeschützten nördlichen Kopfflügels abzureißen und lediglich einen Trakt als Gedenkort für die Opfer der NS-Euthanasieprogramme zu erhalten. Damit würden die einstmals riesigen Ausmaße dieses „Täterortes“3 nicht mehr sichtbar, das Begreifen der Monströsität des NS-Euthanasieprogramms anhand der architektonischen Dimensionen der einstigen HuPflA nicht mehr möglich.

In der Folge formiert sich ein Aktionsbündnis Erlanger Bürger*innen unter dem Motto „Gedenken gestalten – HuPflA erhalten“ und kämpft für den Erhalt der noch verbliebenen Bauwerke.

Erinnern ist Arbeiten an der Zukunft. (Aleida Assmann, deutsche Kulturwissenschaftlerin, geb. 1947)